Wenn dein Geburtstag gar nicht dein Geburtstag ist

„Mary, three more nights, hooray!“, sage ich während des Abendessens. Mary sitzt mir gegenüber und schaut mich einfach nur an. Als Antwort kommt nicht wie erwartet ein fröhliches Aufschreien, sondern nur ein trauriger Blick. Ich erinnere mich daran, wie sehr ich mich doch früher auf meinen Geburtstag gefreut habe. Nächte lang konnte ich nicht schlafen und habe mich gefragt, welche Geschenke ich wohl auspacken werde. Wird mir mein Wunsch erfüllt?

Wenn niemand weiß, wann du geboren wurdest

Mary kam im vergangenen Jahr in das Kinderdorf. Sie ist ein Findelkind. Niemand weiß wer ihre Mutter ist und wo sie steckt. Vom Vater ebenso keine Spur.  Eine wahre Geburtsurkunde existiert nicht. Mittlerweile ist sie schon 6 Jahre. Das Kinderdorf sucht derweil mittels Zeitung und Radio nach ihrer Mama und gleichzeitig auch nach neuen Eltern für Mary. Da ihre Identität nicht vollständig geklärt ist, weiß ebenso niemand, wann genau sie eigentlich geboren wurde. Durch eine ärztliche Untersuchung wurde in ihren ersten Lebensjahren ein Geburtsdatum geschätzt und festgelegt. In ihrem Fall wurde das Jahr bestimmt, aber scheinbar kein Tag und auch kein Monat. Seitdem sie im Kinderdorf aufgenommen wurde, hat sie jedenfalls noch keinen Geburtstag gefeiert. Und wer weiß, ob schon jemals zuvor einmal?

„Eine Barbie und einen Schokokuchen“

Irgendwann stand fest, dass wir Marys Geburtstag am 8. April feiern werden. Bei mir im Yellow House ist es der erste, den ich überhaupt feiere und auch der erste von den Kindern in diesem Jahr. Natürlich möchte ich jedem Kind ein tolles Geschenk machen und der Ehrentag soll so schön wie möglich gefeiert werden. So auch zu Marys Geburtstag. Ein paar Wochen zuvor saßen wir gemeinsam auf der Terrasse. Ich fragte sie: „Mary, what is your wish for your birthday? What do you really really want to have? And what should we eat?“ Verlegen schaute sie auf den Boden. Ihre Füße baumelten in der Luft. Schüchtern blickte sie mich an und sagte leise: „A Barbie and a Chocolate Cake.“ Dann grinste sie.

Den Geburtstag um einen Tag vorverlegen

Gestern, am Donnerstag kam Mary angerannt und sagte plötzlich, dass ihr Geburtstag morgen sei. Am 7. April. Ich war völlig perplex und antwortete ihr, dass sie noch zwei mal schlafen müsse und wir ihren Geburtstag am Samstag feiern würden. Sie aber beharrte auf ihrer Meinung, so dass ich gleich zu Mama Rosalie lief und fragte, wie Mary darauf kommt. „On Saturday is my day off so I would be not here for her birthday. We will celebrate it tomorrow.“, antwortete sie mir. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Den Geburtstag mit Freunden nachzufeiern, kennen wir alle. Aber ihn einfach vorher zu zelebrieren?

Kalter Hund und Hamburger

Für mich hieß es also, meine Pläne und Vorhaben für den Tag über Bord zu werfen und alle Besorgungen zu erledigen. Den gewünschten Schokokuchen wollte ich selber zubereiten. Selbst gebacken, schmeckt schließlich am allerbesten. Ich überlegte, welchen Kuchen ich gerne als Kind gegessen habe und welcher mit den hier vorhandenen Zutaten und Möglichkeiten schnell und komplikationslos zu bewältigen sein würde: Kalter Hund! Für das Abendessen wollte ich die schon länger versprochenen Hamburger machen. Fast Food gibt es zwar auch auf den Philippinen fast an jeder Ecke, aber für die Kinder hier ist es eine absolute Ausnahme. Und welches Kind isst nicht gerne Hamburger? Die Einkaufsliste fertig geschrieben, ging es ab auf den Gemüsemarkt und in die Mall. Nachdem die passende Barbie gefunden wurde, kaufte ich noch die restlichen Zutaten ein. Beim Kuchen musste ich kreativ werden, da es kein Kokosfett gab. Egal, Hauptsache es fällt nicht alles zusammen und er schmeckt schön schokoladig und süß. Nach dem Abendessen verabschiedete ich mich also schnell mit einem Zwinkern von den Kindern, um meine geheime Mission zu starten und bereitete alles vor.

Eine lange Kuscheleinheit und ein Rundgang durch das Dorf

Es war 5:30 Uhr. Auch Geburtstagskinder müssen früh aufstehen. Leise setzte ich mich zu Mary auf’s Bett und streichelte ihren Arm. „Good morning birthday girl!“ Wir kuschelten eine ganze Weile, bis wir uns dann dazu aufrafften, die kalte Filipino-Dusche hinter uns zu bringen. Nachdem wir wieder frisch und munter waren, nahm Mary mich an die Hand und wollte unbedingt zu den anderen Häusern. Das machen wir morgens vor dem Frühstück normalerweise nie aber heute war ja auch ein besonderer Tag. Mary bekam das ein oder andere Geburtstagsständchen gesungen. Trotzdem war es seltsam, da einige Kinder natürlich auch sagten, dass doch erst morgen ihr Geburtstag sei. Nach dem Hin- und Herschieben ihres Ehrentages waren sichtlich alle ein wenig verwirrt.

Endlich: Geschenke und Schokokuchen zum Frühstück

Nachdem der morgendliche Reis verputzt war, sollten der Geburtstagskuchen und die Geschenke folgen. Die Kerzen brannten schon, als Mary plötzlich nicht mehr da war. Als sie merkte, dass ihr Geburtstag wohl so richtig beginnt, machte sie sich aus dem Staub. Nach kurzer Zeit und lautstarkem Rufen der anderen Kinder stand sie vor der Tür. Ich nahm sie an die Hand und ging mir ihr zu den Geschenken und dem Kuchen. Mary war sichtlich überfordert und wusste gar nicht, wie sie mit dem Ganzen umgehen sollte.

Einmal pusten und sich etwas ganz fest wünschen. Die Kerzen auf dem Kuchen waren ausgeblasen. Vermutlich war es das erste Mal für sie, einen eigenen Geburtstagskuchen zu bekommen. Sie lächelte kaum und traute sich gar nicht in die Geschenketüte zu schauen. Alle standen um sie herum und waren gespannt was Mary nun hoffentlich bald öffnen würde. Nach mehrmaligem Auffordern fing sie allmählich an, die Sachen auszupacken. Endlich hielt sie ihre so sehnlich gewünschte Barbie in der Hand. Außerdem bekam sie noch eine Zaubertafel geschenkt, auf der sie das Schreiben üben kann. Die Schokolade des Kuchens begann allmählich an zu schmelzen. Schnell schnitten wir den improvisierten Kalten Hund an und alle genossen es. Auch Mary, die immer noch ziemlich still auf ihrem Platz saß. Als sich die Menge um sie herum aber mit der Zeit aufgelöst hatte, wurde sie langsam wieder lockerer. Sie stand nicht mehr so im Mittelpunkt, was für sie eher selten der Fall ist. So war es die Barbie, die nun in ihrem Zentrum der Aufmerksamkeit stand.

Hamburger, Reis und jede Menge Torte

Am Abend bereitete ich dann die Hamburger zu. Einige Kinder halfen mir dabei und so flossen die Tränen, während des Zwiebelschneidens. Als die Burger dann aber belegt wurden, konnten es alle kaum noch erwarten und so konnten wir uns pünktlich zur Abendessenzeit an den voll mit leckeren Sachen gedeckten Tisch setzen. Standardmäßig wurde sich aber erst einmal der Reis aufgefüllt. Den Hamburger ließ sich aber keiner entgehen und so schmeckte es allen sehr gut.  Sogar den anderen Hausmüttern, die wohl gerochen haben müssen, dass etwas besonderes zu Essen im Yellow House auf dem Tisch steht. Wann gibt es auch schon einmal selbst gemachte Hamburger?

Fing dieser Tag zwar aufregend an, so hatte Mary doch noch einen schönen und lustigen 7. Geburtstag. Die Barbie ist jedenfalls immer an ihrer Seite.

 

 

 

 

 

 

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